Mittwoch, 14. Juli 2021

Die Schlüssel zu unbekannten Wörtern im Text

Unsere DaF-Schüler müssen ohne Hilfsmittel authentische Sachtexte oder Literatur lesen. Nach zwei Minuten geht es los: "Was heißt Nahrungsmittel?, Ballaststoffe?" "Was bedeutet Anmeldefrist?" "Ich verstehe das Wort verursachen nicht!" Und da sie die Vertreter der Prompt-Response-Generation sind, die es gewohnt ist durch ein Click die erwünschte Lösung zu erhalten, fragen sie sofort nach. Aber das Schlimmste dabei ist, dass auch wir Lehrer (Die eindeutig nicht mehr zu dieser Generation gehören!) prompt antworten. Dadurch werden die Schüler nicht nur denkfaul und lehrerabhängig, sondern unfähig autonom Vokabeln zu erschließen. 

Um das Problem zu lösen, muss man sich aber erstmal mit der Frage auseinandersetzen, welche Rolle die einzelnen Vokabeln in einem Text überhaupt spielen: Ein Text ist viel mehr als nur die Addition verschiedener semantischer Einheiten und dem entsprechend ist Lesen viel mehr als nur lose Sinneseinheiten zu addieren, oder? 

1993 verfasste Gerhard Röhr ein sehr empfehlenswertes Buch namens Erschließen aus dem Kontext, in dem er zwei Textverarbeitungsmodelle gegenüberstellte: Die additiv-elementarische Textverarbeitung, für die unsere Schüler alle Sinneseinheiten nacheinander verstehen müssten, um nach und nach die Bedeutung des Textes aufzubauen. Jedes Wort ist ein Baustein und die Texterfassung ist die Summe davon.  Bei dieser Verarbeitungsform bedeutet jedes unbekannte Wort einen großen "Störfaktor", weil jedes Wort ein wichtiges Bauelement ist. 

Dem gegenüber stellt Röhr die ganzheitliche Textverarbeitung, bei der der Leser von Anfang an den Text als Ganzes versteht. Er entnimmt einzelne Sinneselemente, fügt Informationen aus dem eigenen Wissensstand hinzu und der Text nimmt dadurch von Anfang an ganzheitliche Formen an. Er baut so zu sagen, gleich am Anfang eine Vorstellung über die Textaussagen auf.  Die ersten Vorstellungen werden dann während des Vorgangs ständig präzisiert, bestätigt oder korrigiert. Weil der erfahrene Leser auf Textebene übliche Buchstabenkombinationen, übliche Wortverbindungen, übliche Satzverbindungen, übliche Textformen bereits kennt und außerdem eine Vorstellung der Weltbeschaffenheit und der Kultur hat, entwickelt er während des Lesens eine sich ständig anpassende ganzheitliche Vorstellung des Textes. Lesen ist aus dieser Perspektive ein interaktiver Vorgang. Dabei ist ein unbekanntes Wort kein so großer Störfaktor, weil der Leser die unbekannten Einheiten seiner Vorstellung entsprechend deutet. Deshalb tolerieren wir beim Lesen auch die eine oder andere Lücke. Oder will mir jemand sagen, er schlägt während der Lektüre eines spannenden Romans jedes unbekannte Wort nach? Oder in der Sonntagszeitung?

Natürlich kann ein Leser nicht jedes Wort erschießen. Wenn das Thema nicht zur eigenen Erfahrungswelt zählt und wenn zu wenige semantische oder morphologische Assoziationsmöglichkeiten bestehen, muss man dann doch zum Wörterbuch greifen. Röhr behauptet demnach bei Fremdsprachenlernern entwickelt sich der Leseprozess nach und nach vom additiven-elementaren Modell hin zu einer ganzheitlichen Textauffassung. Am Anfang kann der Fremdsprachler nur wenige Vorkenntnisse über die Merkmale der Zielsprache und über die Kultur des Landes zum interaktiven Leseprozess beitragen. Sobald die Sprachkompetenz wächst, geht er zu einem ganzheitlichen Lesevorgang über und wir Lehrer sollten ihnen bei diesem Übergang helfen. 

Und wie genau sollen wir das anstellen? Der erste Schritt ist sicherlich den Text immer als Ganzes zu präsentieren, aufgrund der Elemente, die man versteht Vermutungen anzustellen, Erwartungen aufzubauen und sie während des Lesens immer wieder zu bestätigen oder zu korrigieren. Also sollte die Aufgabe nicht lauten "Lies den Text und unterstreiche die Vokabeln, die du nicht verstehst!", sondern "Was hast du verstanden?  Wie lautet das Thema des Textes? Was meinst du wird in solch einem Artikel, mit solch einer Überschrift stehen?Markiere Namen, Internationalismen, Zahlen, Zitate! Wer hatte Recht bei seinen Vermutungen über den Text?  Was steht wohl im nächsten Abschnitt? Welche Überschriften passen zu den Abschnitten? Der zweite Schritt ist dann vielleicht Strategien zu lehren, um wichtige Wörter zu erschließen und unwichtige zu tolerieren, eine schwierige Lehrer-Mission, die zum Ziel hat, dass die fortgeschrittenen Schüler der Prompt-Response-Generation die Schlüssel haben zu fremden Vokabeln im Text.

Welche Schlüssel könnten das denn sein? Wie erschließt der erfahrene Leser unbekannte Wörter innerhalb seiner ganzheitlichen, situativen Textvorstellung? 


Hier in diesem Sinne einige Leseverstehensaufgaben mit Schwerpunkt auf Wortschatz; Sternchenthemen B2 und B1.


                       

Dienstag, 6. Juli 2021

Digitales wird vom Winde verweht

Der starke Wind, der digitale Lernformen und Videokonferenzen gebracht hat, lässt nach. Nach und nach kehren wir zurück in die Klassenzimmer, nehmen die geliebte Kreide wieder in die Hand und sind glücklich darüber endlich wieder Korrekturen in die Hefte und Mappen zu kritzeln.

Aber wird alles Digitale nun vom selben Wind wieder verweht?

Ich denke jetzt ist gerade der richtige Zeitpunkt, um den erzwungen Einbruch der Digitalisierung in die Schule zu analysieren, um zu überlegen welche Möglichkeiten sie uns eröffnet hat, in wieweit der Einsatz sinnvoll ist und wo die Grenzen der Digitalisierung liegen.  Eine ausgiebige Analyse des  IST- Zustands muss her, eine Analyse auf der man ein Konzept entwickelt, dass auf den neuen Voraussetzungen aufbaut und das die Entwicklung der digitalen Kompetenzen der Schüler einbezieht und die Arbeits- und Lernmethoden, sinnvoll in der Schule einbettet.

Aus dem Marketingbereich in der Betriebswirtschaft ist eine Methode bekannt, die als Grundlage dienen könnte, solch eine Analyse durchzuführen: Die SWOT Analyse.

In einer Matrix trägt man ein, welche die internen oder externen vorteilhaften Variablen sind und welche Schwächen und Risiken zu erkennen sind.




Daraus kann man dann sinnvolle Strategien entwickeln, die es uns erlauben aufgrund des neuen Potenzials alle Chancen zu ergreifen, die sich für die Schule als Bildungseinrichtung und für die einzelnen Fachschaften anbieten und die es uns möglich machen unsere Defizite mithilfe dieser neuen Chancen auszugleichen.

Das Konzept, dass sich daraus ergibt soll unsere Fortschritte im Bereich Digitalisierung so schnell wie möglich verankern, damit sie nicht im Winde verwehen.