Samstag, 24. April 2021

Metamorphose der Evaluation

 In vielen Ländern der Welt findet seit über einem Jahr nur teilweise Präsenzunterricht statt und in unserem Kollegium sind alle verzweifelt, weil im virtuellen Unterricht keine Klassenarbeiten durchgeführt werden können. Wie können wir Wissen überprüfen und sicher sein, dass der Schüler die Klassenarbeit oder den Test alleine schreibt, ohne Hilfsmittel aus dem Netz, ohne Hilfe der Eltern oder der Mitschüler über die Whatsapp-Gruppe? Wie können wir nun überprüfen, ob sie die Verbzeiten gelernt haben, die sozialen Gefüge im Mittelalter, die Flüsse Europas, die Klassifizierung der Lebewesen, und und und …? Wie können wir prüfen und dabei sicher sein, dass die Klassenarbeit die eigene Leistung des Schülers ist?


Die am weitesten verbreitete Lösung des Problems war erstmal die summative Evaluation mit Noten abzuschaffen, aber nun hat sich die Pandemie in die Länge gezogen und irgendwann brauchen wir Zeugnisse, Abschlüsse und Zertifizierungen und dazu braucht man eben Noten.

Ein anderer Lösungsvorschlag war im Fall von wichtigen Prüfungen, die online abgehalten werden mussten, der Einsatz von Seiten Blockaden, die verhindern sollten, dass Schüler während der Arbeit andere Internetseiten öffnen konnten. Aber man konnte trotzdem nicht verhindern, dass sie über das Smartphone andere Informationsquellen suchten.

In meiner Fachschaft starteten wir dann den Versuch auf geteilten Dokumenten zu schreiben, so dass man Wort für Wort verfolgen konnte, was der Schüler schreibt und zugleich bei offener Kamera sieht, wo der Schüler hinschaut. Fast lächerlich!!!!

Online Formulare kamen zum Einsatz, aber unsere internetkundigen Schüler fanden schnell heraus, wie man in den Einstellungen die Lösungen einsehen konnte.

Also Alles vergebens…

Ich denke der Lösungsansatz liegt woanders, nicht in der “Antischummel-Maßnahme” sondern im Prüfungskonzept. Welchen Zweck erfüllen denn Evaluationen? Sie sind ein Instrument, um Lernerfolg zu überprüfen. Lernerfolg, und nicht Wissensstand. Ironischerweise sprechen wir Pädagogen seit Jahren vom kompetenzorientierten Unterricht, aber wir verzweifeln, wenn wir kein Wissen abfragen können. Wenn die Schüler in den Klassenarbeiten Kompetenzen, statt Wissen nachweisen müssten, hätten wir das Problem zum größten Teil gelöst.

Nicht die historischen Zahlen nennen, sondern den Zusammenhang zwischen Ereignissen, die gleichzeitig an anderen Orten geschehen, erkennen; nicht den Namen des Autors und das Erscheinungsjahr abfragen, sondern den Einfluss der Biografie auf das Werk; nicht die Zahlen pro Jahr anführen, sondern ein Säulendiagramm mit den Zahlen erstellen, nicht die Formel abfragen, sondern die Lösung eines Problems, das die Anwendung der richtigen Formel erfordert, veranlassen.

Wenn wir zulassen, oder sogar erwarten, dass unsere Schüler in der Klassenarbeit alle möglichen Daten aus dem Netz und der Literatur zur Hilfe nehmen, um Problemaufgaben zu lösen, um Texte  zu interpretieren, um Transfer zu leisten, um Quellen zu analysieren, um Grafiken zu erstellen, dann bekommen die Arbeiten einen neuen Sinn und die Hilfsmittel sind tatsächlich eine Hilfe.


Gezwungen durch die Pandemie wird vielleicht endlich die langersehnte Metamorphose der Evaluationen stattfinden. 

Kompetenzorientierter Unterricht hatte sich schon durchgesetzt, aber die entsprechende kompetenzorientierte Evaluation hatte sich noch nicht entpuppt. Der traurige Umstand einer Pandemie hat vielleicht auch positive Seiten.





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